Spendier mir doch einen Kaffee
Beim Schreiben guter Texte wird mein Kaffee leider viel zu oft kalt. Hilf mir, meinen Kaffeevorrat zu füllen.
Eine Freundin schrieb mir, dass sie derzeit liebend gern Pilgergeschichten liest. Sie machen ganz viel mit ihr diese Geschichten. Ich antwortete ihr, dass ich in den vergangenen Wochen selbst wenigstens dreimal Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ angehört habe. Auch mit mir macht diese spezielle Pilgergeschichte etwas. Mehr als einmal hatte ich schon den Impuls, den Camino zu gehen, habe mich vorletztes Jahr sogar konkreter mit der nötigen Ausrüstung beschäftigt. Gegangen bin ich ihn seither noch nicht. Zumindest nicht DIESEN Camino. Nun ist dies nicht etwa eines der Vorhaben, die wir immer wieder gern vor uns herschieben, um sie irgendwann einmal tun, wenn die Zeit dafür da ist. Ich pilgere nicht nach Santiago de Compostela, weil ich für mich entdeckt habe, dass mein ganzes Leben, jetzt schon eine Pilgerreise ist.
Worum geht es vielen beim Pilgern? Sie wollen unterwegs sein. Sie wollen in die Stille gehen und sich eine Auszeit gönnen. Sie wollen sich und Gott begegnen. Sie rechnen damit, an ihre Grenzen zu gehen und vielleicht darüber hinaus. Sie wollen Altes loslassen und Raum für Neues schaffen. Sie rechnen damit, Gleichgesinnten zu begegnen. Das werden wohl die häufigsten Gründe sein, den Entschluss zu pilgern in die Tat umzusetzen. Getragen von dem Wunsch, der Hoffnung, dass die Pilgerreise sie und ihr Leben nachhaltig verändert.
Ich bin im Leben unterwegs. Jeden einzelnen Tag. Sichtbar im Außen reise ich zu Fuss oder mit dem Auto mal hierhin, mal dorthin. Jederzeit reise ich im Innen, für die Augen weniger sichtbar, durch Selbstreflexion und Gewahrsein. In die Stille gehe ich sehr oft. Oft gehe ich in die Natur, lasse mich von ihr in die Stille des Seins begleiten. Sehr heilsam ist das, wenn es in mir mal wieder brodelt und tobt. Unendlich friedlich ist es, wenn auch in mir Stille ist und die Natur gleichermassen in mich einzutauchen scheint, wie ich in sie. Immer öfter gehe ich in die Stille, ins Gewahrsein des Moments, wo immer ich gerade bin. Und genau da begegne ich immer wieder Gott und mir. Nicht einem Gott mit weißem Rauschebart, der mild lächelnd gut heißt, was ich da tue, sondern der Quelle, aus der alles zu kommen scheint und wohin alles wieder zurückfließt. Die Quelle, die den Kreislauf allen Seins in sich birgt. Diese Quelle ist da, wo immer ich bin, sie ist in mir, ich bin sie, sie ist ich. Manchmal bringt mich das an meine Grenzen, die ich dann neu betrachte, neu stecke und vielleicht auch mal ganz fallen lasse. Dadurch und dabei geht viel Altes dahin, Raum ensteht, der sich mit Neuem füllt. Und jeder Tag birgt die Möglichkeit in sich, Gleichgesinnten zu begegnen. Jenen, die das Leben ebenfalls mit jedem Atemzug in sich aufsaugen, um ihm in jedem Moment ihr ganz besonderes Leben einzuhauchen. Der Vielfältigkeiten, die uns Menschen hierfür gegeben sind, sind schier endlos. So erlebe ich immer wieder, wie überraschend und bereichernd die einfachsten Dinge des AllTags sein können. Ich erlebe, wie zum Beispiel der Einkauf im Bioladen, der Gang zur Post oder ein Abend am Steg zu einer Vielzahl wundervoller Begegnungen führen können. Begegnungen mit Menschen, die sich eine friedlichere, liebevollere Welt wünschen, auf ihre Art das ein oder andere dafür tun, um den Wunsch wahr werden zu lassen. Viele von ihnen meinen, sie seien mit ihren Ansichten, Meinungen, Herzwünschen recht allein auf der Welt. Und ich kann ihnen aus echtem Erleben heraus sagen, dass wir viele sind, denn mir begegnen diese Menschen, immer wieder, immer öfter. Nicht auf dem Camino, in Seminaren oder bei anderem, wo Gleichgesinnte sich offensichtlich treffen. Nein, sie begegnen mir im täglichen Leben, auf meiner ganz persönlichen Pilgerreise.
Bleibt noch die Sache mit der Auszeit. Letztes Jahr habe ich mir eine solche Auszeit gegönnt. Acht Wochen Rügen, raus aus dem Alltag, raus aus der Stadt, weg von Gewohntem und Bekanntem. Eine wundervolle Zeit, die nicht nur neue Wege zu mir aufzeigte, sondern auch mein erstes Manuskript zutage brachte. Heute sage ich zum Thema Auszeit jedoch sehr klar, dass ich keine weitere Auszeit nehmen möchte. Ich möchte nicht wieder an einen Punkt in meinem Leben kommen, da ich von meinem AllTags-Leben eine Auszeit brauche. Mein Leben ist meine Zeit hier auf Erden, in diesem Leben, das mir gegeben wurde und das mit jedem Tag dem Ende entgegen geht. Keine Aus-Zeit mehr von meiner Zeit, die ich hier sein kann, um das Leben zu erfahren, zu genießen, mit anderen zu teilen. Keine Aus-Zeit mehr von der Zeit, die mir gegeben ist, zu sein.
In meinem Verständnis ist all das genau das, was eine Pilgerreise ausmacht. Und die Reise mache ich. Alle Tage, ganz gleich, wo ich bin. Und so schrieb ich meiner Freundin kürzlich: „Der AllTag ist mein Camino. Mein Leben ist mein Weg zur bzw. der Erleuchtung. Und wenn ich daran denke, wie oft ganze Kronleuchtersäle in mir angehen, weil ich endlich etwas begriffen habe, muss ich wie so oft über mich selber schmunzeln.“ Ich wünsche uns allen eine gute Reise, mit stillen Momenten und wunderreichen Begegnungen. Ich sage allen, die unterwegs sind: Wir sind nicht allein. Wir sind viele.
Danke für die Inspiration, Barbara und dafür, dass wir schon seit geraumer Zeit immer mal wieder ein Stück der Pilgerreise gemeinsam zurücklegen.