Tango im Ballhaus „Erde“ oder Kennst du deine Melodie?

Gepostet von am Aug. 19, 2015 in GeDANKEnwelt

Tango

 

Schwingungen und ein eigenes Seelenlied

 

Es gibt Meinungen, die besagen, alles ist Schwingung, ist Energie. Es gibt Naturvölker, die davon überzeugt sind, dass jeder Mensch ein eigenes Seelenlied hat, das die Mutter noch vor der Zeugung des Kindes in Stille erlauscht. Wenn sie das Lied gehört hat, geht sie nach Hause und bringt es dem Mann und der Gemeinschaft bei. Dann erst vollziehen sie die Zeugung. Während der gesamten Schwangerschaft singen sie die empfangene Melodie und sorgen dann mit der gesamten Gemeinschaft dafür, dass der neue Mensch immer in Kontakt mit seiner eigenen Musik steht.

Ich bin selbst sehr angetan von der Schwingungs- und Energieidee. Die Vorstellung, eine eigene Seelenmelodie zu haben, von Anfang an, die mich durch alle Phasen des Menschenlebens begleitet und mir hilft, mich zu erinnern, macht es mir ganz warm ums Herz. Wie viel Unsicherheit, Zweifel und Trennung könnte einem erspart bleiben, wie viel Urvertrauen wäre greifbarer und weniger erschütterbar in uns verankert. Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass wir alle eine eigene Melodie haben und sich somit auf sehr subtilen Ebenen entscheidet, mit welchen Menschen wir gut schwingen und mit welchen weniger gut oder nur recht kurz.

Stellen wir uns doch also unser Miteinander als einen großen Tanz im Ballhaus „Erde“ vor. Jeder von uns ein Tänzer, mit eigener Melodie, mit ureigenem Rhythmus. Wir definieren diese Rhythmen als Tango, Polka, Rock, Jazz oder was auch immer. Mancher Stil harmoniert gut mit anderen, mancher scheint nur entfernt ins Konzept zu passen. Doch jeder einzelne ist Teil der großen Sinfonie des Menschseins, des Universums. Jeder hat seinen Part in diesem gigantischen Musikstück, hat seine Berechtigung. Doch wer von uns kennt eigentlich die eigene Melodie, weiß klar um den bevorzugten Tanzstil und ist dann noch in der Lage, sich den oder die passenden Tanzpartner/-gruppen auszuwählen? Und wie bereit sind wir wirklich, uns auf einen eigenen Stil festzulegen, anderen den Raum zu geben, den ihren herauszufinden und uns dann gemeinsam für ein Mit- oder wenigstens Nebeneinander zu entscheiden? Sind wir nicht nur blind, sondern auch taub und merken es nicht einmal?

 

Wie können zwei harmonisch miteinander tanzen, wenn jeder eine andere Musik hört?

 

Sind wir überhaupt bereit, miteinander zu üben oder erwarten wir nicht doch ein „Nahe dran am Idealbild“, wie realistisch das auch immer sein mag? Oder ist uns heutzutage die Beziehung zu uns selbst und die Arbeit an uns selbst so wichtig, dass wir vergessen, dass ein „Uns“ nur eine weitere Beziehung ist, die ebenfalls Übung erfordert? Ist ein „Uns“, ganz gleich ob in Partnerschaft oder anderen Teams nicht die Königsdisziplin? Können wir diese Disziplin meistern, wo doch manchem der Umgang mit sich selbst mehr als fremd ist? Wie sollen zwei einen schönen Tanz tanzen, wenn sie schon Schwierigkeiten dabei haben, zu erkennen, dass sie verschiedene Rhythmen spüren?

Gilt es nicht erst einmal, für sich selbst wenigstens ein paar Ideen zu entwickeln, welche Musik wir hören? Und ist es dann nicht auch eine Frage der Zeit, herauszufinden welcher Mensch eine ähnliche Musik vernimmt? Und ist einer gefunden, der z.B. auch Tango hört, gilt es dann nicht weiterhin achtsam zu bleiben, denn nicht zwangsläufig heißt die gleiche Musik auch das gleiche Empfinden und Beherrschen der Tanzschritte. Einer tanzt vielleicht gern Freestyle, der andere lieber traditionelle Schrittfolgen, der dritte eine Kombination aus beidem.

Sollten wir uns, statt weiter nach immer Neuem zu streben, lieber darin schulen wahrzunehmen, welche Musik in uns und im Gegenüber spielt? Und haben wir uns mal für einen Tanzpartner entschieden, sollten wir dann nicht auch gern die Verantwortung tragen, die diese Entscheidung mit sich bringt? Und sollte der Moment kommen, da wir keine Lust mehr auf diesen Tanz haben, ist es dann nicht eine natürliche Pflicht, den anderen davon in Kenntnis zu setzen, anstatt ihn einfach auf der Tanzfläche stehen zu lassen? Rennen wir mittlerweile nicht ziemlich planlos durch das große Ballhaus „Erde“, platzen in irgendwelche Tanzgruppen hinein, schnappen uns den nächsten freien Menschen und stolpern drauf los, in der Hoffnung, die nächsten Fred & Ginger oder Johnny & Baby zu sein?

Wie erbost können wir sein, wenn der andere einfach nicht in der Lage ist, unseren Tanzschritten zu folgen, ohne zu merken (oder merken zu wollen), dass der versucht Polka statt Tango zu tanzen. Wie beleidigt und verletzt können wir sein, wenn der andere uns einfach stehen lässt, weil er merkt, dass er mit unseren Tanzschritten nicht klar kommt, ohne ihm auch nur einmal klar zu verstehen gegeben zu haben, dass wir einen völlig anderen Rhythmus wahrnehmen und krampfhaft versucht haben, den seinen zu tanzen. Wie schnell schimpfen wir über den anderen, anstatt mit ihm zu schauen, ob sich nicht doch eine gemeinsame Harmonie erspüren lässt, eine, die vielleicht für beide ganz neu ist und voller ungeahnter Möglichkeiten steckt. Wie oft verraten wir die eigene Melodie, weil wir lieber um jeden Preis versuchen eine fremde zu tanzen, anstatt wieder allein zu sein.

 

Wir tanzen immer: in Beziehung zu uns, zu jemandem oder etwas anderem

 

Wir Menschen können nicht nicht in Beziehung sein. Wir sind in Beziehung mit uns selbst und allem, was uns umgibt, mehr als manchem klar oder lieb ist. Selbst ein „Ich“ ist immer eine Beziehung mit allem, was dazugehört. Es wird auch bei einem „Uns“ immer Momente und Phasen geben, da es der eine lauter als der andere mag oder der eine seine eigenen Schrittfolgen allein ausführen, üben oder reflektieren mag. Für mich scheint erstrebenswert, mit einem Tanzpartner vereint zu sein, der uns und den gemeinsamen Tanz ebenso achtsam beobachtet und zu schätzen weiß, wie sich selbst. Einer, der um seine eigene Melodie weiß, die meiner ähnlich ist und der trotzdem offen bleibt für die verschiedenartigen Nuancen. Einer, der klar kommuniziert, wann er welche Übungsphase braucht und auch bereit ist, sie mit meinem Übungsplan abzustimmen. Einer, der auch mal allein übt und mir das ebenso zugesteht. Einer, der es dann aber kaum abwarten kann, wieder mit mir auf die Tanzfläche zu gehen, um noch harmonischer miteinander zu schwingen.

Es kann mal holpern oder einer mal stolpern, es kann mal zu laut oder zu leise sein für den anderen. Doch all das lässt sich spielerisch nehmen, wenn beide immer wieder „Ja!“ zum gemeinsamen Tanz sagen, weiterhin einen ähnlichen Tanzstil gut finden, den anderen nicht aus den Augen verlieren und dabei immer wissen, dass sie Teil einer Tanzgruppe sind. Einer Tanzgruppe, die obendrein mit anderen Musik- und Tanzstilen den ganzen Planeten zu einem großen und wunderschönen Ballhaus „Erde“ machen. Ist es denn nicht ab und an mal ganz witzig, bewusst statt Tango eine Polka zu hüpfen? Vielleicht inspiriert die ja zu neuen Tanzschritten oder lässt zumindest die Wertschätzung der eigenen, stimmigeren Musik wachsen. In jedem Falle ist die kurzzeitige, lockere so andersartige Begegnung immer ein Zugewinn, wenn wir uns selber klarer in unseren eigenen Tanzstilen bzw. Beziehungen sind. Das gilt es zu schulen finde ich. Mit Freude und Leichtigkeit, mit Feuer und manchmal etwas Schweiß, mit Achtsamkeit und einem immer wieder bewusstem und klarem „Ja!“.

 

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