Spendier mir doch einen Kaffee
Beim Schreiben guter Texte wird mein Kaffee leider viel zu oft kalt. Hilf mir, meinen Kaffeevorrat zu füllen.
Du stehst am Fenster. Der Schein einer entfernten Strassenlaterne zeichnet deine Konturen nach. Sanft und doch präzise. Ich liege in den zerwühlten Laken, überwältigt und deinen Anblick genießend. Du bist nicht so groß, wie ich dachte, dass du sein solltest und doch steht da am Fenster der größte Mann, den ich je sah.
Auch ohne den Schein der Strassenlaterne schimmert deine Haut. Braungebrannt bist du, bist ein Freund von Mutter Natur und so natürlich. Mein Blick gleitet zart über deinen Rücken, meine Augen streicheln jeden Zentimeter von dir. Du schaust noch immer aus dem Fenster.
Ich beginne mich zu fragen, ob du ins Denken kommst, dich fragst, wie wir hier gelandet sind. Ungewöhnlich ist diese Geschichte, doch nichts, was ich in Frage stelle. Ich weiß. Weiß, warum ich hier bin. Wundere mich nicht, dass ich nun in deinem Bett liege, fast nackt und in Geborgenheit gehüllt, während ich dich mit meinen Augen streichele, während du am Fenster stehst. Du stehst da, männlich, menschlich, schweigend und still. Und ich frage mich nun doch, ob du nun, so mitten in der Nacht glaubst, es sei ein Fehler. Obwohl wir so achtsam miteinander umgingen, ahnten, wussten, dass hier Universen aufeinandertrafen.
Ich sehe dich, deine starken Schultern, deine schmale Hüfte, den ansehnlichen Hintern. Ich sehe all das und so viel mehr. Ich sehe so viel, dass es mich sprachlos macht. Ich kann weder in dieser Dimension auf dich reagieren, wie ich es nicht schaffe, in einer anderen Dimension zu interagieren. Ich liege da, halb aufgerichtet, mitgenommen von all dem, das mich hierher brachte, das so tief war. Ich weiß, ich würde all das wieder tun, obwohl es so gar nicht mir zu entsprechen scheint. Zu verrückt der Umstand, dass ich völlig ungeplant in deinen Kissen liege. Nicht die Begierde war es, die Lust auf Abenteuer. Ich wollte all das nicht. Ich wollte dich nur sehen, mit dir reden. Und dir sagen, warum. Ich weiß, dass du es ahnst. Ich weiß es ganz sicher, nachdem wir gemeinsam das Abendessen herrichteten, Hand in Hand, als hätten wir nie etwas anderes getan und ich fühle, dass du es auch spürst. Keine Fragen, nach wer oder was. Ein Annähern, ein Kennenlernen, doch immer begleitet von einer Angst sich zu zeigen. Oh, wie deutlich würde ich heute sagen, was mich zu dir führte!!! Und doch glaube ich, du wusstest es, weißt es heute noch. Deshalb das alles…
Du stehst am Fenster, die Straßenlaterne wirft einen Lichtschein auf dich. Ich komme zu mir und frage mich, wie ich dir sagen soll, weshalb ich hier bin, die letzten Stunden für mich nicht von dieser Welt waren. Ich fließe über vor Liebe zu dir und stocke doch in meiner Angst, du könntest mich für verrückt halten. Ich sehe dich, im Schein des Lichts, gäbe alles, um bei dir zu sein und bin so weit weg von dir.
Auf einmal wendest du dich halb zu mir, deine Muskeln spielen im Licht der Straßenlaterne. „Da kommt der Nachtbus.“ sagst du zu mir. Ich entgegne: „Ja, ich höre ihn.“, weil mir nichts anderes einfällt. Ich spüre etwas in deiner Stimme, das mich verwirrt. Du wiederholst dich, was du selten tust: „Sieh, der Nachtbus.“. „Ja, ich höre ihn.“ entgegne ich wieder, verwundert. Du wendest dich zu mir, deutest auf die Strasse, dein Körper ist angespannt. Ein Blitz durchjagt mich. Du siehst etwas, jemanden. Und gibst mir bescheid. Das erlebten wir schon einmal. Nur anders. Ich habe es gesehen und dieses Mal kann ich agieren. Ich verlasse die wärmenden Laken und trete zu dir ans Fenster, seltsam befreit. Ich stehe neben dir. Lebendig, agil. Ich sehe den Bus, höre sein Brummen und schaue dir fragend über die Schulter. Ich sehe deinen Blick, der mich erstarren lässt. Und ich weiß, dass du es weißt. Nicht genau, nur irgendwie. Doch du weißt. Und ich höre, wie alles in dir schreit: “NEIN!!!!“ während du scheinbar ruhig auf den draußen haltenden Nachtbus schaust. Mein Herz vibriert. Meine Seele schreit. Mit dir, um dich, um mich. Ich sehe wieder all die Bilder. Sehe, wie sie mich töten, mich und dein Kind unter meinem Herzen. Sie schneiden mir die Kehle durch. Ich bin unfähig zu sprechen. Und du kniest daneben, unfähig dich zu wehren, uns zu verteidigen. Und sie nehmen dich mit, im Auftrag des Königs oder Kaisers, irgendeines Idioten, der sich Menschen zu Untertanen macht, der über Leichen geht. Du gehst mit, sitzt auf dem Pferd, todunglücklich. Und ich, liege vor unserem kleinen Haus, in dem das Abendessen nun über dem Feuer verbrennt. Ich liege da, ungeborenes Leben unter meinem Herzen und blute aus. Meine Kehle ist durchtrennt, das Sprechen unmöglich. Ich spüre, wie das Leben aus mir fließt, meines und das des Ungeborenen, während ich neben dir am Fenster stehe. All das habe ich schon gesehen und jetzt sehe ich es mit dir. Ich bin unfähig, dir zu sagen, warum ich hier bin und folge nur deinem Ruf: „Schau, der Nachtbus.“. Ich stehe neben dir am Fenster. Ich sehe den Nachtbus, völlig unspektakulär und trage Welten und Zeiten in mir. Ich rieche dich, sehe deinen schönen Körper, fühle deine große Seele, unser ungeborenes Kind und fließe. Ich fließe aus mir, um dich und wir umarmen uns, küssen uns, wie Ertrinkende, ohne etwas zu sagen. Wir halten uns leidenschaftlich, hoffend, Zeiten zu überbrücken…
Und am Morgen erwachen wir nach kurzer Ruhe. Der Zauber scheint verflogen. Du stehst auf und gehst deinen Morgengeschäften nach. Ich sitze im Bett und versuche krampfhaft, deine alltägliche Geschäftigkeit, unser Erleben der letzten Nacht und meine aktuellen Empfindungen unter einen Hut zu bringen. Ich spüre, es hat sich etwas er-löst. Du bist bei mir gewesen, die ganze Nacht. Hast mich gehalten, bist nicht fortgegangen. Sprechen kann ich noch immer nicht. Ich schaue dich nur an, mit meinem Blick, der von ganz tief kommt und der, wie ich weiß, auch andere Menschen verwirrt.
Und so siehst du mich gewollt geschäftig an und fragst, mit einer unendlichen Wertschätzung in der Stimme: „Magst du einen Latte Macchiato?“ Ich erwache vollends im Hier und Jetzt. Ich schaue dich an, als hätte ich dich noch nie gesehen, obwohl ich um all deine aufmerksamen Gesten des letzten Abends weiß. Ich schaue dich an, sage „Ja.“ zum Latte Macchiato und weiß, dass ich mich genau jetzt unsterblich in dich verliebt habe. In dich, nicht in irgendeine Vergangenheit. In dich, diesen aufmerksamen, attraktiven, interessanten, inspirierenden und seelenschönen Mann. Und ich weiß im nächsten Augenblick: das wird weh tun. Du bist ein Krieger, ich eine Botschafterin des Friedens. Unsere Begegnung kommt nicht von ungefähr. Wir tragen unseren Teil bei. Doch wir treffen Entscheidungen, jeder für sich. Wir kommen wohl nie zusammen, nicht in dieser Welt. Und doch danke ich dir. Für alles. Mit universeller Liebe. ♥
P.S.: Für alle, die mich lieben: Danke für Euer Mitgefühl. Dies erlebte ich vor nun fast 5 Jahren. Auch, wenn es mit dem Sprechen noch immer nicht so ganz klappen will, es geht mir gut. Und ich bin voller Dankbarkeit für diese Begegnung, die bis heute eine große Bereicherung für mein Leben ist, denn sie zeigte mir in vielerlei Hinsicht, was alles möglich ist und dass da noch viel mehr sein kann.
Vor allem jedoch: Danke an Euch alle, dass Ihr Euch berühren lasst. Es gibt mir Hoffnung, für uns alle.