Spendier mir doch einen Kaffee
Beim Schreiben guter Texte wird mein Kaffee leider viel zu oft kalt. Hilf mir, meinen Kaffeevorrat zu füllen.
Der Herbst zeigt sich seit Tagen von seiner schönsten Seite. Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, buntes Laub und aus allem, durch und um alles immer ein goldener Glanz. Und ich? Ich bin depressiv. Und ich stehe dazu. Wie sollte ich auch nicht depressiv sein? Wieso sollte es mich verwundern, dass alles in mir nach Rückzug von der Welt schreit?
Normalerweise schreibe ich. Doch warum sollte ich zum x-ten Mal schreiben, was ich schon x-Mal geschrieben und vor mir schon unzählige andere Menschen an Gefühldanken von sich gegeben haben? Weil es meine Art zu schreiben ist, die einzigartig ist (weil jeder Mensch es ist) und deshalb Ausdruck finden soll? Warum sollte ich auf meine Art so einzigartig schreiben, wenn der Sinn, die Botschaft des Geschriebenen ja doch wieder nur im tiefsten Inneren der LeserInnen verschlossen werden? Warum sollte ich schreiben, was schon so oft geschrieben, besungen, gesagt wurde und scheinbar so wenig ändert in der Welt?
Ab und zu erwäge ich, eine weitere Ausbildung zu absolvieren. Warum? Weil Leben immer lernen bedeutet, andere Menschen vieles weitergeben, das ich nicht mehr weiß und Zertifikate und Abschlüsse immer noch mehr (in Euro) zählen als Innere Weisheit. Doch warum sollte mich eine weitere Ausbildung interessieren, die meine Zukunft verändern könnte, während uns der Planet unterm Allerwertesten kocht?
Hin und wieder begleite ich (oder neudeutsch: coache). Doch warum soll ich eine Sysiphusarbeit verrichten, die an die Selbstverantwortung des Menschen appelliert und ihn an seine Schöpferkraft erinnert, wenn ich doch selbst immer wieder mit der eigenen an (systemischen) Grenzen zu scheitern drohe? Warum soll ich Menschen dazu ermutigen, das Leben als ein Geschenk zu betrachten, jeden Tag aufs Neue als Einladung zu verstehen, wenn an jedem einzelnen Tag überall auf der Welt Menschen, Tiere und Pflanzen vernachlässigt, unterdrückt, sinnlos in den Tod geschickt werden und Mensch viel Energie dafür aufbringt, eben jenes zu ignorieren oder als „normal“ zu erklären?
Wie gesund kann es sein, zu arbeiten, sich zu belesen, auszubilden und dabei immer wieder einzubilden, wirklich etwas zu verändern, während eine bestehende Meinung nur gegen eine andere ausgetauscht und das nächste Zertifikat an der Wand aufgehängt wird, in der Hoffnung, nun endlich den einen oder den nächsten großen Durchbruch zu schaffen? Wie gesund kann es sein, das eigene Wohlstandssofa egal um welchen Preis zu pflegen und täglich zu verschönern, während woanders und nicht weit weg Menschen wie Ihr und ich, verarmen, flüchten, verhungern oder umgeben von mehr als Mensch zum Leben braucht, vereinsamen? Wer kann bei all dem, was wir wissen, das wir anstellen durch unsere Un-, Nicht- oder Taten durchs Leben gehen, ohne wenigstens ab und zu depressiv zu sein?
Ja, meine Kindheit, meine eigenen Erfahrungen beherbergen viele Gründe und Ursachen für eine Depression. Doch bin ich vielleicht noch viel zu gesund, um bei all dem Scheiß, den Mensch anrichtet und der auf diesem Planeten stattfindet, nicht „nicht depressiv“ zu sein. Wäre es doch nur eine Herbstdepression, die mich heimsucht. Doch diese buntgoldene Pracht da draußen kann wohl kaum Grund für den düsteren Blick auf die menschgemachte Welt sein. Hätte ich doch die Einstellung, Schuld immer bei anderen zu suchen und Verantwortungen hin und her zu schieben. Hätte ich doch Scheuklappen, die mich nur sehen ließen, was in meine kleine Welt passen könnte. Hätte ich doch riesige Vorräte von Einhornglitter und pinker Farbe, mit der sich so mancher das Weltgeschehen fröhlich malt. Doch ich bin nun mal wie ich bin und die Schubladen an gutem Glauben und grenzenloser Hoffnung sind zur Zeit verdammt leer. Bin ich gesund oder krank? Völlig, egal, ich bin grad depressiv und finde, ich habe leider reichlich Grund dazu.
😉
..und wie hat jemand mal gesagt, dem es genauso ging:
„Es ist frustrierend, wenn man aus seiner schönsten Depression geholt wird. Das ist wie sehr früh aus dem Bett geschmissen zu werden.“